Golfpro

Eine kurze Geschichte meiner Karriere und des Slices.

1983 fahre ich mit meinem Fahrrad zufälligerweise in den Düsseldorfer Hafen. Wegen der Tierfutterfabriken stinkt es da furchtbar, und deshalb dreht man normalerweise gleich wieder um. Dieses Mal fahre ich aber weiter und stoße ganz am Ende auf einen öffentlichen Golfplatz, den die Stadt betreibt. Es gibt eine Driving-Range und ich sehe dabei zu, wie Bälle an die 200 Meter weit fliegen. Ich beschließe, Golfer zu werden und gleich damit anzufangen. Ein Leihschläger kostet zwei Mark, ein Eimer Bälle fünf. Leider beginnt es jedoch so stark zu regnen, dass ich unverrichteter Dinge wieder heimfahren muss, denn Unterstände gibt es auf der Lausward nicht. Es wurde in den nächsten Tagen nicht trockener, und deshalb versorge ich mich in der Stadtbibliothek mit Literatur. So kam es, dass ich drei Golfbücher vollständig durchgearbeitet hatte, bevor ich das erste Mal einen Schläger in die Hand nehmen konnte. Sowas prägt.

Mit so einem Schläger (allerdings älter) habe ich das Golfspielen begonnen.

Als ich dann endlich bei Trockenheit im Proshop stand — eine primitive Portacabin —, erklärte mir der Besitzer und Golfpro Graham Darke, dass man den Leihschläger nicht wechseln könne. Wer also ein kurzes Eisen, ein mittleres und ein Holz nutzen wollte, um den Eimer Bälle zu verschlagen, der musste sechs Mark investieren. Das kam bei meinem Taschengeld nicht infrage, und deshalb musste ich mich auf einen Schläger beschränken. Meine Überlegung war einfach: Ich nehme den Schwierigsten, denn wenn ich den beherrsche, klappt es sicher auch mit den anderen. Also begann ich das Golfspielen ohne Anleitung mit einem alten Persimmon-Driver von Joe Powell. Das Treffen gelang erstaunlich schnell, aber vom ersten Tag an plagte mich ein übler Slice. Ein halbes Jahr lang übte ich nur auf der Range, denn mit meinen Bananen-Schlägen traute ich mich nicht auf den Platz. Außerdem kostete ein Leihsatz mit Tasche zwölf Mark, plus fünf Mark Greenfee, die eigenen Bälle nicht mitgerechnet.

Die Lausward. Der erste öffentliche Golfplatz in Deutschland und drei Jahre lang meine Heimat.

Irgendwann kaufte ich mir aber eigene Schläger (Wilson Blades) und ging das erste Mal 18 Löcher. Es war der Alptraum, denn ich toppte praktisch jeden Ball. Warum? Weil ich die Bälle auf der Range immer von einer Bürste geschlagen hatte, die drei Zentimeter höher war als meine Füße. Diese drei Zentimeter fehlten mir auf dem Platz, und außerdem hatte ich Hemmungen, ins Gras zu schlagen. Trotzdem zählte ich gnadenlos und es wurden 179 Schläge. Ich ging also wieder in die Stadtbibliothek, denn offensichtlich hatte ich die falschen Bücher gelesen. Aber die Ursache meiner Slices blieb mir weiter verborgen. Die Golfstunden auf der Lausward brachten mich leider auch nicht weiter: Man sagte mir, ich käme von außen und hätte eine offene Schlagfläche. Tja, so schlau war ich bereits. Wenn die Divots 45 Grad nach links zeigen, ist das auch nicht schwierig zu erkennen. Aber warum kam ich von außen und warum war die Schlagfläche offen? Schließlich empfahl mir ein anderer Golfpro von der Lausward, George Kromichal, das Buch von Ben Hogan. Ich las die »Fundamentals of Golf« im Original und wurde zum Hogan-Fan.

»Tips on how to avoid hooks« wäre der treffendere Titel für dieses Buch. Meinen Slice konnte ich damit leider nicht beseitigen.

Bedauerlicherweise erhöhte das Buch lediglich meine Englisch-Kenntnisse; der Slice wurde eher extremer. Heute weiß ich, dass Hogans Buch den falschen Titel trug. »Tips on how to avoid hooks« hätte es eher getroffen. Hogans schwacher Griff, sein dorsales linkes Handgelenk im höchsten Punkt und im Abschwung, sein spätes Schlagen und seine Betonung der Hüftdrehung halfen ihm, seinen natürlichen Hook in den Griff zu bekommen, waren aber Gift für meinen Slice. Damals stellte ich natürlich noch nicht Hogans Kompetenz in Sachen Golfdidaktik infrage. Unglücklicherweise war mein koordinatives Talent aber auch nicht groß genug, um die Schlagfläche irgendwie intuitiv und mit Geschick zu schließen.

Meine Besessenheit ließ jedoch nicht nach — im Gegenteil: Ich spielte im Sommer praktisch jeden Tag bis zur Dunkelheit, oft 36 Löcher. Die Schule wurde zur Nebensache, und so entstand ein knapp bestandenes Abitur mit einem Schnitt von 3,4. Der Plan war aber ohnehin, mein Leben der Bekämpfung des Slices zu widmen. Wenn ich dessen Ursache ergründen könnte, so dachte ich, müsste es bei geschätzten 30 Millionen Slicern weltweit doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich davon nicht leben könnte.

Also begann ich im März 1987 meine Golflehrer-Ausbildung. Mit meinem offiziellen Handicap von 23,4 hatte ich natürlich keine große Wahl bei den Lehrstellen, aber Hans-Joachim Rumpf im Golfclub Gut Grambek hatte Mitgefühl und bildete mich aus.

Nun gab es neben dem Regen beim ersten Lausward-Besuch ein zweites, prägendes Ereignis: Sony brachte die erste Consumer-Kamera auf den Markt, mit einer Belichtungszeit von einer zweitausendstel Sekunde. Dies ist ungefähr die Dauer des Treffmoments, und das bedeutete, dass erstmalig Aufnahmen von Golfschwüngen möglich waren, die scharfe Bilder auch im Abschwung zeigten. Mein Ausbilder kaufte diese Kamera noch in der Woche ihres Erscheinens für 4000 Mark. Ich kaufte mir meine eigene kurze Zeit später. Zusätzlich investierte ich in einen Panasonic-Videorekorder mit vier Videoköpfen und einem Jog-Shuttle. Diese Kombination ermöglichte das Ansehen doppelt so vieler Bilder und eine Einzelbildschaltung vor- wie rückwärts. Ich glich also einem Arzt mit Röntgengerät, und ich röntgte alles, was mir vor die Linse kam.

Ich fuhr mit dieser Kamera auch nach Frankfurt zur German Open und filmte dort Ballesteros und all die anderen damaligen Stars aus unmittelbarer Nähe. Das endete jedoch tragisch für viele meiner Schüler, denn ich sah, dass die Golfpros alle so spät schlugen, wie Hogan es beschrieb, wohingegen alle Amateure mit hohen Handicaps, die ich analysierte, früh schlugen. Also brachte ich allen genau das bei, was Hogan hier demonstriert:

Ben Hogan — das Vorbild der meisten Golfpros. Noch heute halten viele sein Buch »Modern Fundamentals of Golf« für die Bibel des Golfsports.

Aus meinen Schülern mit spielbaren Pull-Slices und Fades wurden hoffnungslose Push-Slicer und Socketierer. Eine Dame mit Arthrose musste nach meinem Unterricht das Golfspiel an den Nagel hängen, weil das ständige Treffen mit der Hacke nicht mehr mit ihrem Leiden zu vereinbaren war. Ich hatte also nach meinem ersten Jahr als Golfpro so große Selbstzweifel, dass ich ans Aufhören dachte. Hinzu kam, dass mein eigenes Spiel nicht so schnell auf das Niveau kam, um den Spieltest für Golflehrer zu bestehen. Aber Gott sei Dank gab es genau zum richtigen Zeitpunkt ein drittes, prägendes Ereignis: Denis Pugh, der damalige Partner von David Leadbetter, gab für den Hamburger Golflehrer-Verband regelmäßig Seminare im Golfclub an der Pinnau, und Lehrlinge konnten kostenlos teilnehmen. Hier lernte ich, wie einer der bekanntesten Lehrer diverse Tourspieler unterrichtete. Die meisten anderen Golfpros, die an den Pugh-Seminaren teilnahmen, wollten bei den Seminaren hauptsächlich für ihr eigenes Spiel von Denis’ Wissen profitieren. Ich hingegen schlug kaum Bälle, sondern schaute ihm permanent über die Schulter, wie er unterrichtete. Das gefiel ihm offensichtlich, und so schrieb er ein paar Jahre später auch ein nettes Vorwort für mein zweites Golfbuch.

Denis Pugh war der Golfpro, der mir den Umgang mit der Videokamera beibrachte. Er war seiner Zeit voraus und hat schon damals hauptsächlich andere Golfpros unterrichtet.

Nun hatte ich Zugang zur Avantgarde der Golflehrer, aber so richtig erfolgreich war ich immer noch nicht. Ich betrachtete das jedoch als normal, denn ein Teil der Philosophie von Pugh und Leadbetter war es, dass man Golfern das Spiel von der Pike auf beibringen müsse und dieser Umstellungsprozess eben seine Zeit dauere. Das hielten Wochenendgolfer jedoch meist nicht durch, und außerdem fehlte ihnen die Zeit, so regelmäßig zu üben wie ein Nick Faldo, der das damalige Aushängeschild dieser Art des Golfunterrichts war. Faldo stellte 1985 als Nummer 1 in Europa seinen Schwung komplett um, traf zwei Jahre lang nichts und kam schließlich spielstärker zurück als zuvor. Ich wähnte mich daher mit meiner Lehrmethode im Recht. Ich brauchte eben nur die richtigen Schüler. Also suchte ich mir als nächsten Club den Öschberghof, in dem damals eine der zehn stärksten Clubmannschaften in Deutschland spielte. Ich wurde Regionaltrainer, dann hauptamtlicher Landestrainer in Baden-Württemberg und schließlich mit Rainer Mund zusammen erster hauptamtlicher Nationaltrainer.

Zwischendrin ereignete sich jedoch der vierte Glücksfall. Am Öschberghof gastierte regelmäßig John Jacobs mit seinen Golfschulen, und wir freundeten uns an. Seine Philosophie war der von Leadbetter und Pugh diametral entgegengesetzt. Jacobs unterrichtete hauptsächlich Hobbygolfer und brauchte deshalb schnelle Erfolge. Ihm ging es daher ausschließlich darum, den Schläger richtig an den Ball zu bringen.

Der Golfpro John Jacobs verstarb am 13. Januar 2017. Er erkannte schon in den 60er Jahren, wie wichtig die Schlagfläche beim Golfspiel ist.

Was Jacobs jedoch fehlte, war die Videokamera. Und so gab es bei ihm einige Lücken, die der Tatsache geschuldet waren, dass man bestimmte Details einfach nicht mit bloßem Auge erkennen konnte. Auf einer Konferenz für Golfpros lernte ich dann jemanden kennen, der ebenfalls bei Jacobs gelernt hatte, aber auch ein Virtuose mit der Videokamera war und sogar Tourspieler unterrichtete. Ich besuchte ihn im nächsten Jahr auf seiner Range in Dallas, und was ich dort sah, stellte alle Erfolge in den Schatten, die ich jemals erlebt hatte — und zwar bei hohen Handicappern wie bei der Arbeit mit Golfpros. Es war Hank Haney, den damals noch kaum einer kannte, weil er noch nicht Tiger Woods unterrichtete. Haney nahm damals schon 220 Dollar für die Stunde, also veranstaltete ich regelmäßig Golfreisen für Golfpros nach Dallas, lernte jedes Jahr dazu und verdiente damit sogar noch Geld.

Vom Golfpro John Jacobs habe ich am Öschberghof viel gelernt. Ich durfte ihm unzählige Stunden beim Unterrichten zuschauen, und er hat für drei meiner Videos das Vorwort gesprochen.

In der Zwischenzeit lernte ich Peter Wolfert kennen, einen Ingenieur aus Hamburg, mit dem ich gemeinsam ein Videosystem entwickelte, das die Vorteile von guten Kameras mit Computern verband und in der Lage war, eine Sekunde nach dem Schlag jede beliebige Position des Schwunges auf den Bildschirm zu bringen. Das zeigte ich Hank Haney, und bei meinem nächsten Besuch installierte ich das erste Scope-System in Dallas, was kurze Zeit später auch Tiger Woods nutzte, um an seinem Schwung zu arbeiten. Mit diesem System und den Informationen von Haney hatte ich endlich alle Puzzleteile zusammen, um das Problem des Slices zu lösen. Und mit ihm auch das fast aller anderen Fehlschläge: Socket, Spitzentreffer, Pull, Push, Hook etc.

Hank Haney lernte ich 1990 kennen, und ich habe ihn gemeinsam mit anderen Golfpros insgesamt zehnmal in Dallas besucht. Er hat das Vorwort für mein drittes Golfbuch geschrieben.

Lediglich das Löffeln blieb ein ungelöstes Problem. Sobald der Slice nämlich beim Durchschnittsgolfer beseitigt war und ihm sogar Draws gelangen, sorgte der von innen kommende Schläger zusammen mit einem zu frühen Schlag für fette Schläge, Spitzentreffer und zu starke Hooks. Das Rezept von Haney: Hüfte schieben. Das Rezept der meisten anderen Golfpros: Winkel halten. Das Hüftschieben bringt zwar die Hände im Treffmoment weiter vor den Ball, aber es entsteht kein Lag und kein richtiger Peitscheneffekt. Das Winkelhalten wiederum wirft das Problem auf, dass man diesen Winkel natürlich nicht bis zum Treffmoment halten kann. Also muss man den Winkel halten und genau im richtigen Moment lösen. Das gelingt allerdings — wenn man als Golflehrer ehrlich ist — nur den Wenigsten.

Aber auch dieses Problem ist inzwischen mithilfe des Hochspringers Thomas Zacharias gelöst. Mit ihm habe ich dann auch ein Buch geschrieben, allerdings stellte sich kurz vor der Veröffentlichung heraus, dass wir uns nicht einigen konnten, für wen die Methode des Beugens im Abschwung hilfreich ist. Meine Meinung lautet: erst für den, der schon Draws schlagen kann, und Thomas meint, dass es jedem hilft. Ich habe dann noch ein Vorwort für ihn geschrieben, aber von da ab sind wir getrennter Wege gegangen. Mein Wissen findet sich nun im Unterrichtshandbuch der PGA of Germany; Amateure können es sich mithilfe meiner DVDs aneignen, mein Buch Draw&Order lesen oder am Fleesensee bei mir Unterricht nehmen. Das Handicap spielt dabei keine Rolle. Von 54 bis +3 sind alle willkommen.

Viele haben die Sorge, dass bei einer Spielstärke in Höhe der Platzreife ein Lehrer auf hohem Niveau übertrieben sei. Aber man kann nicht sagen, dass die Anforderungen an den Lehrer erst mit abnehmender Vorgabe steigen. Wenn überhaupt ist es eher umgekehrt: Manchmal haben Spieler mit einstelliger Vorgabe ganz einfach zu lösende Probleme, bei denen ein Golflehrer-Lehrling schon genügt. Und manchmal hat ein Anfänger ein so kompliziertes Problem, dass dem Golflehrer wirklich alles abgefordert wird. Es ist wie in der Medizin: Jemandem mit einer kleinen Verletzung einen Verband anzulegen und Schonung zu verordnen, kann auch eine Krankenschwester. Wer jedoch unter starken Migräne-Anfällen leidet, der braucht einen erstklassigen Diagnostiker.